Donnerstag, 31. März 2022

Meine Bewertung zu allen 40 Songs des ESC 2022

Platz 1: Großbritannien

Man erwartet nach dem erneuten Desaster im Vorjahr rein gar nichts und wird dann umso mehr überrascht vom wirklich perfekten Gesamtpaket, das uns die Briten in diesem Jahr servieren. Das Mutterland des Pop wird auch beim ESC endlich seinem Ruf gerechnet und schickt mit Sam Ryder einen Vollblutmusiker mit überragender Stimme, der auf den diversen Pre-Partys überall in Europa gezeigt hat, was für ein Talent in ihm schlummert. Wir dürfen vom UK in diesem Jahr wirklich Großes erwarten.

Platz 2: Österreich

Österreich hat wieder Lust aufs Finale und schickt einen mutigen Beitrag. Mutig in der Hinsicht, dass DJ-Acts in den letzten Jahren bis auf eine Ausnahme (Norwegen 2017) ausnahmslos abgeschmiert sind. Doch der Song ist so dermaßen gut produziert und mein diesjähriges Guilty Pleasure, dass das Risiko eines Fails sehr gering sein dürfte. Es sei denn, Lum!x würde sich auf der Bühne durch alberne Handbewegungen und seltsame Zwischenrufe zum Affen (Polen 2018) oder der Sänger den Song stimmlich verhunzen (Finnland 2019).

Platz 3: Schweden

Rauchige Stimme und typisch schwedischer Popsong, der wie fürs Radio gemacht scheint. Das fasst die Attribute des schwedischen Beitrags zusammen. Und doch ist der Song mehr als das: er fasziniert vom ersten Moment an durch die charismatische Performance der barfuß singenden Cornelia Jakobs, die außer einer drehbaren, in verschiedenen Farben beleuchteten Plane im Hintergrund keine Gimmicks benötigt, um den Zuhörer drei Minuten lang bestens zu unterhalten. Die Erwartungen sind stets hoch und werden definitiv erfüllt.

Platz 4: Polen

Nach dem letzten Erfolg vor sechs Jahren krebsten die polnischen Songs oft unter ferner liefen und blieben zumeist im Semifinale hängen. Diese Pechsträhne dürfte aber 2022 endgültig reißen. Verantwortlich dafür ist der Voice-Sieger Krystian Ochman, dessen gefühlvolle Ballade mit vielen Falsett-Gesangseinlagen aufwartet und die wunderschöne Stimme des Interpreten erstrahlen lässt. Noch dazu ist der Song selbst wohl Jury-Futter par excellence. Jetzt müssen nur noch die Televoter mittels gutem Staging überzeugt werden.

Platz 5: Spanien

In den letzten zehn Jahren war der spanische Beitrag in meinem Ranking sehr oft sehr weit unten angesiedelt. Und ich hatte die Hoffnung auf einen annehmbaren Song mit typisch spanischem Flair schon fast aufgegeben. Doch siehe da, erstmals seit 2012 bin ich wieder geflasht. Die junge Kubanerin Chanel bringt mit "SloMo" eine temperamentvolle Nummer auf die Bühne, die den Zuschauer mit catchy Melodie und atemberaubendem Tanz flasht. Wenn dieser Song nicht in der ersten Hälfte landet sollten die Spanier einfach aufgeben.

Platz 6: Estland

Wild Wild West-Stimmung kommt in diesem Jahr aus dem kalten Estland. Und zwar mit besonders ansprechender Produktion und einem Genre, das beim ESC bisher nur sehr selten vorkam. Im gleichen Teich fischen 2022 zwar auch die Isländerinnen, aber der Este hat dann doch das für den ESC geeignetere Gesamtpaket. Ob es unbedingt Cowboys auf der Bühne braucht, die sich mit gezückten Revolvern gegenüberstehen, sollte definitiv überdacht werden. Ansonsten freue ich mich auf das Country-Feeling in Turin.

Platz 7: Frankreich

Die bretonische Sprache kam bereits vor 26 Jahren beim ESC in Oslo zum Einsatz und fiel durch sehr keltische Sound-Elemente im damaligen Beitrag auf. Ganz anders als die sehr ruhige getragene Nummer von Dan Ar Braz begeistert der diesjährige Song durch einen donnernden Beat und eine feurige Bühnenshow, zumindest wenn man sich am Auftritt bei "C'est vous qui decidez" orientiert. Und insbesondere die diversen Instrumente, die Alvan während der Performance nutzt, werden dem Zuschauer in Erinnerung bleiben.

Platz 8: Aserbaidschan

Nach zwei Ethno-Bomben von Efendi kommt diesmal wie schon 2012-2015 wieder eine hochdramatische Ballade aus dem Land des Feuers. Die diversen Stimmlagen des Interpreten kommen in diesem Song wirklich alle einmal kurz vor und fügen sich aus meiner Sicht gut in die allgemein düstere Stimmung der wieder einmal hochprofessionell produzierten Ballade aus internationaler Feder ein. Und wie wir Aserbaidschan kennen, wird wieder einmal ein kreatives Staging aus dem Hut gezaubert.

Platz 9: Portugal

Nach dem Überraschungserfolg von Black Mamba im Vorjahr bleibt Portugal seiner Linie treu und schickt eine entspannte Nummer ins Rennen, die angenehm aus dem Rahmen der üblichen ESC-Popnummern fällt. Da singen eine Handvoll Frauen im Halbkreis sitzend ein Loblied auf den Begriff, der das portugiesische Lebensgefühl vom am besten umschreibt: Saudade, zu deutsch Weltschmerz oder Sehnsucht. Und dennoch fühlt sich das Werk sehr modern an, mit dem durchgängigen Beat im Hintergrund des Songs.

Platz 10: Italien

Das Festival di Sanremo hat wieder einmal einen viralen Hit produziert. Mahmoods und Blancos Song "Brividi" würde wohl seit Monaten an der Spitze der Buchmacherlisten liegen, wenn die Ukraine nicht angegriffen worden wäre und man deshalb dort mit Solidaritätspunkten rechnet. Die gefühlvolle und intime Ballade, die die Liebe zwischen zwei Männern thematisiert, harmoniert gut mit der italienischen Sprache und berührt viele Zuhörer, das haben die internationalen Reaktionen gezeigt. Möglicherweise siegt Italien erneut?

Platz 11: Finnland

Mit der größte und bekannteste Name im diesjährigen Teilnehmefeld dürfte die Band The Rasmus sein, die ihren größten Hit vor knapp 20 Jahren hatte und seitdem ein fixer Bestandteil der finnischen Rockszene ist. Den finnischen Vorentscheid UMK entschieden sie souverän für sich, wenn auch nicht so erdrutschartig wie die Vorgänger Blind Channel. Besonders clever: die Cartoon-Grafiken mit der Protagonistin des Songs, Rockröhre Jezebel, im Hintergrund und der Song an sich - der ist nämlich ein Ohrwurm, auch für der Rockmusik eher abgeneigte Fans.

Platz 12: Albanien

Eröffnet wird der diesjährige ESC im ersten Semifinale von Albanien. Und was für ein Opener das wird. Ronela Hajati hat bereits beim Festivali i Kenges bewiesen, dass sie eine Rampensau ist und wird das wohl auch auf der ESC-Bühne zeigen. Ihr Ethno-Stampfer "Sekret" steht im vollen Kontrast zu den vielen Balladen, die das Land seit seinem Debüt vor 18 Jahren immer wieder ausgewählt hatte und dürfte der ideale Song sein, um die Gelegenheitszuschauer vom Umschalten abzubringen. Finaleinzug: relativ safe.

Platz 13: Tschechien

Die Tschechien waren ganz am Anfang die erfolglose Nation schlechthin. Dieses Image ist aber Gott sei Dank lässt passé. Denn seit 2018 bestachen die tschechischen Songs vor allem durch topmoderne Produktion und lässige Stagings. Und schon das Musikvideo zu "Lights Off" lässt auf ein Blitzlichtgewitter zu donnernden Technobeats hoffen. Die rundherum europäische Formation (eine Tschechin und zwei Schweden, die sich im UK gründeten) bietet einen der besten Soundtracks des Jahrgangs, jetzt muss nur noch der Gesang passen.

Platz 14: Zypern

In den letzten Jahren war die Mittelmeerinsel vor allem mit glattgebügelten Popsongs erfolgreich und seit 2015 durchgehen im Finale vertreten (der Ausfall des ESC 2020 half dabei definitiv). Das landestypische konnte man aber vor allem 2019 und 2021 vergeblich suchen. Der aktuelle zypriotische Beitrag bringt jedoch die Ethnoklänge und die griechische Sprache zurück und bedient sehr viele Stereotypen, die man mit dem Urlaubsziel Zypern verbindet. Tiefsinnige und exotische Elemente sucht man aber vergebens.

Platz 15: Norwegen

Eines der, wenn nicht das größte Geheimnis in diesem Jahr ist wohl die Identität der norwegischen Wölfe. Und schon jetzt Kult geworden dürfte der legendäre Text des norwegischen Beitrags sein. Die neue Adaption des Märchens vom Wolf und den sieben Geißlein strotzt nur so vor ironischen Zeilen, etwa vom Wolf, der doch statt der Großmutter lieber eine Banane verspeisen sollte. In den sozialen Medien ging der Song nach dem Sieg beim Melodi Grand Prix nicht nur in Norwegen steil und könnte das Land abermals zum Televoting-Sieger machen.

Platz 16: Belgien

Eine der besten männlichen Stimmen des Jahrgangs dürfte wohl Jéremie Makiese aus Belgien haben. Der Song scheint geradezu ideal zu sein, um die Vokal-Akrobatik des Sängers hervorzuheben. Der Song klingt sehr nach 2022 und könnte eine der großen Überraschungen werden, wenn die Belgier nicht den gleichen Fehler wie 2018 und 2019 machen und den qualitativ guten Beitrag durch ein unpassendes Staging jegliche Chance auf viele Punkte nehmen. Es wird aber hoffentlich anders kommen und wir sehen Belgien im Finale am Samstag.

Platz 17: Montenegro

Auch wenn wir in diesem Jahr neben der französischen Sprache die obligatorische Balkan-Ballade missen, gibt es zumindest beim montenegrinischen Beitrag ein paar akustische Anleihen aus der Region zu hören. Dramatisch und fesselnd wirkt das Musikvideo zu Vladanas Beitrag, wir dürfen uns wohl auf eine bombastische Bühnenperformance freuen. Aber am Ende ist das hier immer noch Montenegro, ein Land, das bisher nicht gerade erfolgsverwöhnt ist und wohl auch deshalb 2020 und 2021 nicht dabei war.

Platz 18: Niederlande

So ganz anders als der letztjährige Ethno-Stampfer kommt S10's Song "De diepte" daher. Die sanfte Stimme der jungen Sängerin und die sehr melodische niederländische Sprache harmonieren sehr gut miteinander. Dass ruhige Klänge ganz groß rauskommen können hat Portugals Sieg vor 5 Jahren eindrucksvoll bewiesen. Nichtsdestotrotz passiert mir in diesem Song zu wenig, um unter 40 Songs stark herauszustechen. Die Jurys dürften die ruhige Ballade aber definitiv ganz oben in ihrem Ranking ansiedeln.

Platz 19: Ukraine

Die ganze Welt sieht seit mehr als 2 Monaten täglich auf die schlimmen Geschehnisse in der Ukraine. Das seit jeher erfolgreiche Land könnte bedingt durch die aktuelle Situation erneut einen ganz großen Erfolg landen. Und unabhängig vom Angriffskrieg der Russen wäre das ganze nicht unverdient. Die Band ist extrem authentisch, zeigt die musikalischen Sounds der Ukraine und kombiniert clever Tradition und moderne Rap-Beats in Landessprache. Einziger Wermutstropfen: über drei Minuten hinweg wird das ganze sehr monoton.

Platz 20: Rumänien

Latino-Beats haben in den letzten Jahren sehr oft die Charts bestimmt und gerade rund um 2010 zu etlichen Welthits geführt. Die tanzbare und ins Ohr gehende Nummer von WRS ist die logische Fortsetzung zu den rumänschen Beiträgen von 2007 und 2012 und wird auf der großen Bühne in Turin definitiv für gute Stimmung in der Halle sorgen. Entscheidend für den Erfolg von "Llámame" dürfte die Frage sein, ob der Interrpret sich auf seine tänzerischen oder doch auf die gesanglichen Fähigkeiten fokussieren wird.

Platz 21: Island

Der isländische Song entspannt den Zuhörer schon mit den ersten Klängen. Da stehen drei Frauen mit Gitarre und singen in einer exotischen Sprache einen psychedelisch klingenden Track, der im diesjährigen Teilnehmerfeld definitiv durch sein entspanntes Feeling angenehm hervorstechen wird. Es gibt nicht sehr oft so ruhige Folk-Songs im Wettbewerb und dieser Song könnte vielen Jurys gefallen. Ob sich die Zuschauer jedoch auch davon überzeugen lassen oder gedanklich abschweifen wird sich im ersten Semifinale zeigen.

Platz 22: Slowenien

Vom Tellerwäscher zum Millionär: so oder so ähnlich lässt sich der kometenhafte Aufstieg einer Schülerband vom örtlichen Gymnasium in Celje beschreiben. Zuerst mussten LPS die Newcomer-Runde überstehen, um dann den ganzen Vorentscheid für sich zu entscheiden. Es scheint also etwas dran zu sein am eher verträumt klingenden Beitrag der Band. Für mich wirkt der ganze Act einfach unglaublich sympathisch und es könnte noch so manche Überraschung mit diesen slowenischen Underdogs geben.

Platz 23: Georgien

Georgien ist auf jeden Fall das kreativste Teilnehmerland im ESC-Universum. Und auch in diesem Jahr werden sie ihrem Ruf gerecht. Eine Gruppe anonymer Leute vom Zirkus singen von "Lock me Up, Lock me Down, Lock me Sideways" und das zu einem ohrwurmverdächtigen Beat und blechern verzerrten Stimmen. So etwas würde es außerhalb des ESC wohl kaum ins mitteleuropäische Fernsehen schaffen. Allein dafür gebührt dem georgischen Fernsehen Respekt. Ich wage aber zu bewzeifeln, dass das Finale erreichbar ist.

Platz 24: Deutschland

Malik Harris wuchs bei mir in der Nähe auf und ist bei der deutschen Vorauswahl der einzig brauchbare Acts gewesen. Sein Song läuft inzwischen nahezu stündlich im Formatradio und ist genau das, eine radiotaugliche Ballade mit eher ungewöhnlicher Rap-Passage á la Eminem mitten im Song. Und auch wenn der Song das Rad nicht neu erfindet klingt er doch sehr nach 2022 und könnte in Turin weiter vorne landen als so mancher Kenner aktuell vermuten wird. Das hängt ganz von der Startnummer im Finale ab und den vorher/nachher startenden Acts.

Platz 25: Kroatien

Den wohl unpassendsten Einsatz eines Tänzers bei einem Auftritt aller Zeiten konnte man bei der kroatischen Vorentscheidung Dora bewundern. Immerhin wurde bekanntgegeben, dass der auf der ESC-Bühne nicht dabei sein wird. Die an sich niedliche Pop-Nummer ist entgegen des Songtitels für mich aber definitiv kein "Guilty Pleasure", der Song rauscht vorbei und es bleibt leider wenig hängen. Kroatien ist in den letzten Jahren durch interessante Performances aufgefallen, die wird dieser Song fürs Weiterkommen auf jeden Fall brauchen.

Platz 26: Serbien

Die wohl interessanteste Performance aller Vorentscheids-Sieger in diesem Jahr liefert uns die serbische Künstlerin Konstrakta. Sie wäscht mitten auf der Bühne im Beisein ihres Chors 3 Minuten lang akribisch die Hände und brabbelt etwas von Meghan Markle auf Serbisch und Latein. Der alte Spruch "Ist das Kunst oder kann das Weg?" ist eine Frage, die sich ein Großteil der Zuschauer im Semifinale wohl stellen wird. Entscheidend für den Erfolg des serbischen Beitrags dürfte wahrscheinlich das Votum der Jurys werden.

Platz 27: Litauen

Ein weiteres Gesamtkunstwerk kommt in diesem Jahr aus Litauen. Ein großes Plus ist, dass erstmals seit 1994 diese eher sperrige Sprache wieder den Weg auf die ESC-Bühne gefunden hat. "Sentimentai" mäandert vor sich hin und kann beim Bügeln oder Lernen nebenher laufen, wie man diesen anspruchsvollen Beitrag aber gekonnt auf einer großen Bühne präsentieren will, ohne dass die Zuschauer nach 1 Minute geistig abwesend sind, ist mir ein Rätsel. Es gibt hier leider keine Höhepunkte oder eine erkennbare Hook.

Platz 28: Armenien

Bei Armenien hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass man insgeheim schon mit dem ESC 2022 abgeschlossen hatte, wohl auch aufgrund der Disqualifikation Russlands, sich dann aber doch kurzfristig umentschieden hatte und nun mit einer seichten Gitarren-Popnummer teilnimmt, die man irgendwo in der musikalischen Fundgrube gefunden hat. "Snap" ist ein typischer Radiosong, der niemandem wehtut und um nichts auf der Welt irgendwo anecken will. Singer-Songwriter-Popsongs sind eher 2010 als 2022.

Platz 29: Bulgarien

Der bulgarische Song wurde als erster Beitrag bereits im Herbst 2021 veröffentlicht und hatte somit reichlich Zeit, sein Schönhör-Potenzial zu entfalten. Geworden ist das leider nichts. Es ist an sich zwar ein anständiger Rocksong mit klassischen Gitarren-Riffs und einer typischen Rockröhre beim Sänger der Band, aber eben auch nichts, was qualitativ heraussticht. Dieser Beitrag ist definitiv derjenige in diesem Jahr, der am offensichtlichsten als Trittbrettfahrer auf der Erfolgswelle der Vorjahressieger mitfahren will.

Platz 30: Griechenland

Es gibt ein Element am Anfang des griechischen Beitrags, das aufhorchen lässt. Die mehrstimmige Voiceover-Einlage im Acapello-Stil, die wohl nur dank der Background-Stimmen vom Band in diese Form auf der ESC-Bühne realisierbar sein wird. Doch wenn der erste Refrain einsetzt, folgt leider die Ernüchterung, dass es sich insgesamt um eine klassische Ballade handelt, die bis auf die schönen Bilder von der Insel Symi im Videoclip keine Wow-Momente vorweisen kann. Der Song und die Stimme lassen mich gelangweilt zurück.

Platz 31: Moldawien

Zdob si Zdub sind zurück und liefern nach 2005 und 2011 erneut einen Balkan-Ethno-Banger, wie er im Buche steht. Die Zugfahrt von Chisinau nach Bukarest gestaltet sich jedoch auf die Dauer von 3 Minuten als sehr anstrengendes Machwerk, das so manchen Zuschauer mehr nerven als begeistern dürfte. Man darf bei der Republik Moldau jedoch nie unterschätzen, welch glückliches Händchen sie oft bei der Bühnenperformance bewiesen haben. Insbesondere die diesjährigen Vertreter haben durch ihren Beitrage oft veredelt.

Platz 32: Malta

Die maltesischen TV-Zuschauer, die ja allgemein für den ESC brennen, dürften sich nach 2016 erneut fragen, wieso sie denn überhaupt beim dortigen Vorentscheid abgestimmt haben. Denn dort besteht seit jeher die Möglichkeit, den Sieger-Song nachträglich auszutauschen, was Emma Muscat auch getan hat. Nur verstehe ich nicht so ganz, warum man eine pseudo-emotionale Ballade durch eine andere ersetzen musste, die bis auf ein paar Gospel-Elemente und die obligatorische Empowerment-Botschaft so gar nichts Eigenständiges vorweisen kann.

Platz 33: Irland

Bubblegum-Pop bekommen wir in diesem Jahr aus Irland serviert. Immerhin ist diesmal das irische TV-Publikum selbst schuld, wenn es nichts wird, denn nach sieben Jahren Pause wurde der öffentliche Vorentscheid aus der Versenkung geholt. Fairerweise muss man sagen, das "That's Rich" im irischen Finale noch der Einäugige unter den Blinden war, denn die Qualität der Songs war eher mittelmäßig. Ob sich Europa im Jahr 2022 für einen Beitrag erwärmen kann, der eher nach 2002 klingt, bleibt daher abzuwarten.

Platz 34: Nordmazedonien

Das kleine Land vom Balkan hatte bis auf einen positiven Ausrutscher in 2019 in den letzten zehn Jahren permanent desaströse Ergebnisse eingefahren. Und scheint die Kurve irgendwie nicht mehr zu kriegen. Auch 2022 wird Nordmazedonien von einem Act vertreten, der an sich ein anständiges Lied mitbringt, aber im Teilnehmerfeld wohl wieder gnadenlos untergeht. Andreas Lied "Circles" hat schlichtweg kein Alleinstellungsmerkmal, das sich von den anderen Herzschmerz-Nummern abheben kann.

Platz 35: Australien

Der australische Vorentscheid strotze nur so vor Acts, die jedes längst nicht mehr gültige ESC-Klischee bedienten. Diversity und LGBT war wie bereits 2019 und 2020 das Motto der Show. Und so verwundert es nicht, dass der beste Acts aus dieser Gruppe, aber wohl nicht das insgesamt beste Gesamtpaket gewann. Sheldon Rileys Stimme ist sicherlich eine der besten im Wettbewerb, aber die weinerliche 08/15-Ballade weckt bei mir mehr Langeweile and Emotion. Daran ändert auch der alberne Swarovski-Vorhang nichts.

Platz 36: Lettland

Sagen wir es mal so: zumindest hat der Song aus Lettland eine schöne Botschaft - Umweltschutz und gesunde Ernährung sind sexy! Rein musikalisch betrachtet ist es ein eher brachiales Machwerk, das sich nahtlos in die Reihe der chancenlosen Beiträge einreiht, die Lettland in den letzten 10-15 Jahren des Öfteren geschickt hat. Die Produzenten räumen dem Song scheinbar auch keine großartigen Chancen auf eine vordere Platzierung ein, denn die ominöse Startnummer 2 ging im 1. Semifinale diesmal an Lettland.

Platz 37: San Marino

Dass beim ESC die Karten jedes Jahr neu gemischt werden, beweist in diesem Jahr die Mini-Republik San Marino. Während der letztjährige Beitrag bei mir auf Platz 1 lag, sind die Sanmarinesen in diesem Jahr ganz nach unten gerauscht. Achille Lauro mag zwar in Italien ein großer Name sein, doch europaweit werden ihn die wenigsten kennen und dann kommt es eben vor allem auf den Song an. Der wird in diesem Fall aber sehr lustlos vorgetragen und gewinnt leider keinen Preis für herausragende Originalität.

Platz 38: Dänemark

Die Dänen sind beim Wettbewerb seit jeder für schnöden Radio-Pop ohne jegliche Ecken und Kanten bekannt. Mit dieser Tradition wird in 2022 zwar etwas gebrochen, aber leider in Form eines sehr schlechten Frauenpower-Rocksongs, der mehr geschrien als gesungen wird. Das ellenlange Intro mit Piano-Solo will zum zweiten Teil des Songs so gar nicht passen, da ist keine Symbiose vorhanden. Wenn es selbst das letztjährige Kult-Duo nicht ins Finale schaffen konnte, sehe ich für Reddi eher schwarz.

Platz 39: Schweiz

Ähnlich wie San Marino ist auch die Schweiz von einem zwischenzeitlichen Hoch wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen. Die schnarchigste Nummer des Jahrgangs schicken in diesem Jahr die Eidgenossen. Da täuscht auch das niedliche Musikvideo mit dem kleinen Pappmaché-Ritter nicht darüber hinweg. Es ist zwar gefühlvoll und sticht dadurch etwas hervor, hat aber leider keinerlei Höhepunkte, an die man sich während des Schnelldurchlaufs sofort wieder erinnern könnte. Semifinal-Aus: very likely.

Platz 40: Israel

Der für mich mit Abstand schlechteste Revamp dieses Jahrgangs kommt aus Israel. Hier wurde eine eigentlich ganz campe Pop-Nummer, die durchaus nach 2022 klingt, verunglimpft. Der treibende Beat im Refrain, das Alleinstellungsmerkmal des Songs schlechthin, ist quasi nicht mehr vorhanden. Stattdessen hat man irgendwie das Gefühl, dass man aus voller Fahrt die Handbremse anzieht. Und das dürfte im noch wettbewerbsfähigeren zweiten Semifinale der Todesstoß für diese Nummer sein.

Sonntag, 27. März 2022

Meine Top40 für den ESC 2022

 Die Vorentscheidungs-Phase von Ende Dezember bis Mitte März ist Geschichte und seit 5 Tagen kennen wir alle 40 Beiträge zum diesjährigen ESC. Meine Top40 sieht so aus:

PlatzBeitrag
1 United Kingdom
Sam Ryder
SPACE MAN
2 Austria
Lumix feat. Pia Maria
Halo
3 Sweden
Cornelia Jakobs
Hold Me Closer
4 Poland
Ochman
River
5 Spain
Chanel
SloMo
6 Estonia
Stefan
Hope
7 France
Alvan & Ahez
Fulenn
8 Azerbaijan
Nadir Rustamli
Fade To Black
9 Portugal
MARO
saudade, saudade
10 Italy
Mahmood & Blanco
Brividi
11 Finland
The Rasmus
Jezebel
12 Albania
Ronela Hajati
Sekret
13 Czech Republic
We Are Domi
Lights Off
14 Cyprus
Andromache
Ela
15 Norway
Subwoolfer
Give That Wolf
a Banana
16 Montenegro
Vladana
Breathe
17 Belgium
Jérémie Makiese
Miss You
18 Netherlands
S10
De diepte
19 Ukraine
Kalush Orchestra
Stefania
20 Romania
WRS
Llámame
21 Iceland
Systur
Með hækkandi sól
22 Slovenia
LPS
Disko
23 Georgia
Circus Mircus
Lock Me In
24 Germany
Malik Harris
Rockstars
25 Croatia
Mia Dimšić
Guilty Pleasure
26 Serbia
Konstrakta
In Corpore Sano
27 Lithuania
Monika Liu
Sentimentai
28 Armenia
Rosa Linn
SNAP
29 Bulgaria
Intelligent Music Project
Intention
30 Greece
Amanda Georgiadi Tenfjord
Die Together
31 Moldova
Zdob și Zdub
& Frații Advahov
Trenulețul
32 Malta
Emma Muscat
I Am What I Am
33 Ireland
Brooke
That's Rich
34 North Macedonia
Andrea
Circles
35 Australia
Sheldon Riley
Not the Same
36 Latvia
Citi Zēni
Eat Your Salad
37 San Marino
Achille Lauro
Stripper
38 Denmark
REDDI
The Show
39 Switzerland
Marius Bear
Boys Do Cry
40 Israel
Michael Ben-David
I.M

Wenn wir von den 40 Beiträgen nun alle 35 Semifinal-Teilnehmer auf ihre jeweilige Vorrunde verteilen ergibt sich folgendes Bild:

PlatzBeitrag Semifinale 1Im Finale?
1 Austria
Lumix feat. Pia Maria
Halo
Q
2 Portugal
MARO
saudade, saudade
Q
3 Albania
Ronela Hajati
Sekret
Q
4 Norway
Subwoolfer
Give That Wolf
a Banana
Q
5 Netherlands
S10
De diepte
Q
6 Ukraine
Kalush Orchestra
Stefania
Q
7 Iceland
Systur
Með hækkandi sól
Q
8 Slovenia
LPS
Disko
Q
9 Croatia
Mia Dimšić
Guilty Pleasure
Q
10 Lithuania
Monika Liu
Sentimentai
Q
11 Armenia
Rosa Linn
SNAP
NQ
12 Bulgaria
Intelligent Music Project
Intention
NQ
13 Greece
Amanda Georgiadi Tenfjord
Die Together
NQ
14 Moldova
Zdob și Zdub
& Frații Advahov
Trenulețul
NQ
15 Latvia
Citi Zēni
Eat Your Salad
NQ
16 Denmark
REDDI
The Show
NQ
17 Switzerland
Marius Bear
Boys Do Cry
NQ


PlatzBeitrag Semifinale 2Im Finale?
1 Sweden
Cornelia Jakobs
Hold Me Closer
Q
2 Poland
Ochman
River
Q
3 Estonia
Stefan
Hope
Q
4 Azerbaijan
Nadir Rustamli
Fade To Black
Q
5 Finland
The Rasmus
Jezebel
Q
6 Czech Republic
We Are Domi
Lights Off
Q
7 Cyprus
Andromache
Ela
Q
8 Montenegro
Vladana
Breathe
Q
9 Belgium
Jérémie Makiese
Miss You
Q
10 Romania
WRS
Llámame
Q
11 Georgia
Circus Mircus
Lock Me In
NQ
12 Serbia
Konstrakta
In Corpore Sano
NQ
13 Malta
Emma Muscat
I Am What I Am
NQ
14 Ireland
Brooke
That's Rich
NQ
15 North Macedonia
Andrea
Circles
NQ
16 Australia
Sheldon Riley
Not the Same
NQ
17 San Marino
Achille Lauro
Stripper
NQ
18 Israel
Michael Ben-David
I.M
NQ

Ab nächster Woche werden nun in kleinen Gruppen alle 40 Songs genauer analysiert und ich werde meine persönliche Meinung zu allen Beiträgen kundtun. Bleibt also weiterhin am Ball und verfolgt den ESC 2022 in Turin mit den Beiträgen auf diesem Blog.