Mittwoch, 3. April 2024

Meine Bewertung zu allen 37 Songs des ESC 2024

Der ESC 2024 ist nur noch knapp 5 Wochen entfernt und daher ist es nun an der Zeit, sich den einzelnen Beiträgen aller 37 teilnehmenden Länder zu widmen. Ich werde jeden Beitrag kurz bewerten und dann die Erfolgschancen evaluieren. Beginnen wir beim letzten Platz (Island) und enden bei meinem Lieblings-Song (aus der Schweiz).

Platz 37: Island

Kaum ein Vorentscheid war 2024 so umstritten wie der isländische. Mit der Teilnahme des palästinensischen Sängers Bashar Murad, der mit Island so viel zu tun hat wie die Hamas mit Frieden, war Island teilweise zum Favoriten bei den Buchmachern geworden. Da es in Island aber ein Superfinale mit nur 2 Acts gibt und dort Murad gegen Hera Björk antrat, gab es die Möglichkeit, mit der Wahl von Hera Björk quasi "gegen" den Palästinenser abzustimmen. Und so schickt Island die wohl schlechteste Option aus seinem Vorentscheid zum ESC, ein Song, der mindestens 20 Jahre zu spät kommt. Umso enttäuschender für die tolle Hera, die 2010 noch einer meiner Lieblings-Acts beim ESC in Oslo war.

Platz 36: Australien

Und gleich noch ein Beitrag, von dem ich aufgrund des Interpreten und seiner ESC-Vergangenheit wesentlich mehr erwartet hatte. Electric Fields hatten 2019 den wohl interessantesten Beitrag im australischen Vorentscheid und verloren nur knapp gegen die großartige Kate Miller-Heidke. "2000 And Whatever" war abwechslungsreich, modern und dennoch an die Kultur der First Nation (bzw. früher Aborigines genannt) angelehnt. Alles Attribute, die dem ESC-Beitrag "One Milkali" fehlen.

Platz 35: Lettland

An sich ist "Hollow" eine schöne Ballade, nur leider am Ende genauso blass wie ihr Interpret. Ähnlich wie so mancher deutsche Beitrag in den letzten Jahren ist der lettische Song nicht schlecht, aber leider relativ langweilig, sowohl von der Präsentation als auch in Bezug auf den Song an sich. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie dieser Song in einem so interessanten ESC-Jahrgang genug herausstechen soll, um im reinen Televoting der Semifinals in das Finale einzuziehen. Lettland sollte sich mehr auf Uptempo-Songs oder skurrile Acts als auf Juryfutter konzentieren, den letztere haben in den für Lettland schier unüberwindbaren Halbfinals seit 2023 nichts mehr zu melden.

Platz 34: Albanien

Nichts ist beim ESC so sicher wie ein verunglückter Revamp aus Albanien. Zum ersten Mal seit 2017 hat ein albanischer Act seinen Siegerbeitrag vom Festivali i Këngës für den ESC komplett auf Englisch umschreiben lassen. Und nebenbei auch noch jede Ecke und Kante glattpoliert. Herausgekommen ist eine ziemlich beliebige Pop-Ballade, die überhaupt nicht mehr mit Albanien in Verbindung gebracht werden kann. Und genau das hätte dieser Song gebraucht, um auch nur den Hauch einer Qualifikationschance zu haben. Allerdings ist Albanien in den letzten Jahren eine Wundertüte gewesen und ich habe seit 2018 in jedem Jahr falsch gelegen, was dieses Land angeht.

Platz 33: Deutschland

Im Radio läuft "Always On The Run" rauf und runter, aber das war auch schon bei Malik Harris' Beitrag der Fall. Schön für den Interpreten, der mit dem Airplay vermutlich auch finanziellen verbinden kann. Schlecht für die Erfolgsaussichten beim ESC, denn Radiotauglichkeit hat den deutschen Songs in den letzten Jahren nie irgendetwas gebracht, wenn es um das Thema gute Platzierung geht. Denn wenn Lord of the Lost Letzte wurden, kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser zwar gut gesungene, aber am Ende doch total Schnöde 08/15-Song irgendetwas reißen kann. Aber wenn man nichts erwartet, kann man auch nicht enttäuscht werden, oder?

Platz 32: Moldawien

Natalia Barbus geniale Rock-Nummer von Helsinki 2007 ist einer meiner Alltime-Favourites. Umso enttäuschter war ich sowohl vom recht nichtssagenden Beitrag als auch von der recht steifen Performance bei der Vorentscheidung im Februar. Das beste ist das Violinen-Solo vor dem letzten Refrain, der dann aber leider mit extrem unangenehmer Kopfstimme gesungen wird. Nein, ich gehe davon aus, dass Moldau diesmal sehr schlechte Karten hat und erstmals seit 2019 wieder im Semifinale hängen bleibt. Und das, obwohl im ersten Semifinale gerade einmal fünf Acts ausscheiden werden.

Platz 31: Malta

Selten zuvor war ein ESC-Beitrag so sehr abgekupfert von einem früheren Act. In diesem Fall vom drittplatzierten spanischen Song "SloMo" aus 2022, denn auch "Loop" wartet mit einer Melodieführung auf, die auf choreographische Höchstleistung abgestimmt wurde. Und ich habe letztens sogar ein Video auf Youtube gesehen, das zeigt, wie beim maltesischen Vorentscheid haargenau identische Tanzmoves zu sehen waren wie damals bei Chanel aus Spanien. Die Frage bleibt nur, ob das beim Televoting chronisch erfolglose Malta damit ins Finale kommen soll. Da müsste dann schon absolut alles stimmen, also eine mitreißende Choreo ohne stimmliche Aussetzer.

Platz 30: Georgien

Dieser Beitrag wird von vielen ESC-Fans favorisiert, doch ich kann nicht so recht auf den Zug aufspringen. Grund dafür ist, dass der Song (zumindest bei mir) nicht hängenbleibt. Er ist zwar kraftvoll und die Stimme von Nutsa Buzaladze passt auch dazu, aber die Hook bleibt nicht im Ohr und ich habe mich noch nie dabei erwischt, den Song mitzusummen oder das Bedürfnis gehabt, ihn mir nochmals anzuhören. Die Komposition ist zwar technisch völlig in Ordnung und kann durchaus als zeitgemäß bezeichnet werden, aber es ist alles, nur kein Ohrwurm.

Platz 29: Spanien

Hier kommt mein "Guilty Pleasure" dieses Jahrgangs. Es klingt eigentlich sehr vintage und könnte auch in den 90ern oder Anfang der 2000er im Radio ein Hit gewesen sein. Doch mich catcht der Song dennoch, er ist all das, was Georgien nicht ist: ein Ohrwurm, mitreißend, neudeutsch iconic. Aber die Live-Performance beim Benidorm-Festival könnte auch ein Anzeichen dafür sein, dass dieser Song im ESC-Finale durchfällt. Denn stimmlich war das nun wirklich sehr mau und könnte auch so manchem ESC-Zuschauer als zu altbacken für das Voting sein. Dennoch schön zu sehen, dass auch die Generation Ü50 noch beim ESC vertreten ist.

Platz 28: Tschechien

Aiko war mir von Anfang an unsympathisch. Und das lag nicht nur an der Frisur, sondern vor allem am fremdschäm-peinlichen Auftritt beim tschechischen Finale. Dort kam die gute Aiko sehr "nuttig" herüber und sang wirklich schlecht. Das Revamp, das Ende März präsentiert wurde, hat dem Song mit der neuen Bridge zwar etwas mehr Abwechslung gebracht, aber auch dadurch wird daraus kein Favorit für mich. Und der recht aggressive Sound könnt so einige Zuschauer verschrecken, es wirkt eben alles recht hektisch und unharmonisch. 

Platz 27: Serbien

Serbien bringt eine sehr ruhige Ballade, die aus dem Potpourri der schnellen Voll-auf-die-Zwölf-Nummern angenehm heraussticht. Jedoch ist mir die Nummer insgesamt etwas zu repetitiv. Der Refrain besteht quasi nur aus "Lila ramonda" und das war's. Und dann gefühlt auch noch die Hälfte jeder Strophe. Somit wird das wunderschöne Instrumental durch die ziemlich einfallslosen Lyrics nach unten gezogen. Die aufgrund der zugegebenermaßen schönen serbischen Sprache sowieso kaum jemand versteht. Könnte aufgrund der schlechten Startnr. 2 zum Borderline-Qualifikanten werden.

Platz 26: Portugal

Auf Youtube habe ich letztens den passenden Kommentar gelesen "Portugal always seems to paint its songs with gold." Und wenn man sich die letzten Beiträge ansieht (vor allem 2017, 2021 und 2022), dann muss man zustimmen. Ähnlich wirkt auch der diesjährige Beitrag "Grito", der dazu passende laute Schrei wurde auch gleich vor dem letzten Refrain in den Song eingebaut. Und auch wenn die Choreographie beim Festival da Canção zu einer der besten im Jahrgang gehört, fürchte ich, dass der Song zu wenig massentauglich sein könnte. Hier könnte im Gegensatz zu Serbien die tolle Startnr. 14 den Ausschlag fürs Finale geben. Sollte sie das erreichen, könnten die dort dann abstimmenden Jurys für einen Überraschungserfolg sorgen.

Platz 25: Frankreich

Den französischen Beitrag kennt der geneigte ESC-Fan schon seit einem halben Jahr. Bereits vor dem JESC 2023 in Nizza wurde "Mon amour" präsentiert und entpuppte sich als stereotypische Power-Ballade, die natürlich auf Französisch gesungen wird. Mit Slimane schickt Frankreich einen seiner A-Stars zum europäischen Wettstreit und steht seit einer gefühlten Ewigkeit auch bei den Wettanbietern hoch im Kurs. Doch am Ende ist das typisches Juryfutter und könnte bei den Zuschauern im wohl super-kompetitiven ESC-Finale leicht untergehen.

Platz 24: Finnland

Quasi das absolute Gegenteil zu Frankreich bieten in diesem Jahr die Finnen auf. Nach dem Televoting-Erdrutschsieg vom Vorjahres-Zweiten Käärijä bleibt Finnland bei kuriosen Acts und schickt den Windows95man nach Malmö. Der hat das Kunststück vollbracht, trotz letztem Platz bei den UMK-Jurys am Ende durch die hohen Televotes dennoch die finnische Vorentscheidung zu gewinnen. Und auch beim ESC kann es gut passieren, dass es eine gewaltige Differenz zwischen Jurys und Publikum gibt. Rein von der Qualität her ist das eher mau, aber die Show ist super-abwechslungsreich und man bleibt immer dran. Vor allem dann, wenn die Shorts reingeflogen kommen und das Feuerwerk losgeht.

Platz 23: Griechenland

Ein folkloristischer Beitrag der eher anstrengenden Sorte kommt 2024 aus Griechenland. Marina Satti ist für ihre traditionell-ethnischen Songs bekannt und mixt das bei ihrem ESC-Beitrag mit modernen Beats, die dennoch starken Bezug auf den Balkansound der griechischen Musik nehmen und für westeuropäische Ohren eher überfordernd sein könnten. Nichtsdestotrotz ist das natürlich total auffällig und wird aktuell auch von den Wettbüros als (evtl. nicht mehr so) Geheim-Favorit gehandelt. Nur das bewusst amateurhaft produzierte Musikvideo sollte bitte nicht auf den LED-Screens zu sehen sein.

Platz 22: Vereinigtes Königreich

Die Briten kennen beim ESC leider nur Extreme. Hatte man 2021 noch das Kunststück vollbracht, trotz neuer Punkteregel die "infamous Nil Points" zu erreichen und war 2022 dann Jurysieger und insgesamt Zweiter gewesen, so wurde man 2023 beim Heim-ESC wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht. Wobei der Song ähnlich wie in diesem Jahr wesentlich besser als der Sänger ist. Olly Alexander ist ein klassisches One-Hit-Wonder und versucht nun mit der spannenden Pop-Nummer "Dizzy" wieder in der Musikwelt Fuß zu fassen. Zu dieser Art von Song braucht es jedoch ein fesselndes Staging und auch ein Mindestmaß an Stimme. Ob das beides im Mai in Malmö zur Verfügung stehen wird, darf bezweifelt werden.

Platz 21: Luxemburg

Als Luxemburg letztmalig 1993 in Millstreet teilnahm, war ich noch nicht einmal geboren. Und somit erlebt eine ganze Generation erstmalig einen Beitrag aus dem Großherzogtum beim ESC. Schön, dass eines der Kernländer Europas endlich wieder dabei ist. Schade jedoch, dass es zwar eine gefällige, aber irgendwie auch viel zu ESC-typische Pop-Nummer geworden ist, die jedoch durch die in Französisch gesungenen Strophen etwas aufgewertet wird. Das Staging vom Luxembourg Song Contest sollte auf jeden Fall noch etwas aufgehübscht werden, dann dürfte auch dank des letzten Startplatzes im 1. Semifinale dem Finaleinzug wenig im Weg stehen.

Platz 20: Israel

Allzu viele Leute machen aus Israels ESC-Teilnahme ein Politikum und ziehen Vergleiche zu Belarus und der Russischen Föderation. Die sehe ich aufgrund des Fakts, dass es sich bei Israel um eine Demokratie handelt, jedoch kaum gegeben. Und es ist wichtig, dass das Land nicht noch weiter isoliert wird. Wie schade wäre es gewesen, diese schöne Ballade nur deswegen nicht im Contest zu haben. Dazu kommt dann auch noch die klare und angenehme Stimme von Eden Golan. Das ganze erfindet das Rad zwar nicht neu, aber sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Denn wenn Israel eines kann, dann ist es Staging.

Platz 19: Armenien

Ein schöner und mitreißender Turbo-Ethnosong kommt diesmal aus Armenien. Das französisch-armenische Duo Ladaniva bietet eine sehr landestypisch angehauchte und auch auf Armenisch gesungene, zum Mittanzen animierende Nummer auf, die in der Malmö Arena wohl gut ankommen dürfte. Es ist mal etwas anderes als der auf Hochglanz polierte Standard-Pop, den uns die Armenier in den letzten Jahren oft präsentiert haben und ein schöner Farbtupfer im Jahrgang 2024. Das Finale dürfte gesetzt sein, vor allem dann, wenn die Leadsängerin so auftritt, wie sie sich im Videoclip darstellt.

Platz 18: Aserbaidschan

Ungewöhnlich traditionell erscheint in diesem Jahr auch das mit Armenien verfeindete Nachbarland Aserbaidschan. Zum ersten Mal überhaupt gibt es relevante Anteile der Lyrics in aserbaidschanischer Sprache zu hören. Zusammen mit dem Mugham-Gesang, der auch schon 2012 und 2019 beim ESC zu hören war und gut platziert gewesen ist, hat der Song im Instrumental auch klassische Violinen aufzubieten und bietet ein rundes Gesamtpaket. Es wäre dem Land zu wünschen, dass diese erneut in Eigenregie produzierte Nummer diesmal etwas besser platziert wird als das Duo TuralTuranX im Vorjahr.

Platz 17: Zypern

Ein echter "Bop" kommt wie schon so oft seit Eleni Foureiras Erfolg vor 6 Jahren von der Mittelmeer-Insel Zypern. Und wie schon 2023 hat man sich einen australischen Act mit zyprischen Wurzeln eingekauft, diesmal in Form der 17-jährigen Silia Kapsis. Ihr Beitrag "Liar" klingt definitiv nach 2024 und ist zwar an sich recht generisch, aber dennoch powervoll genug, um im Gedächtnis zu bleiben. Die wummernden Beats des Songs sind der ideale Einstieg in den Contest, von daher ist es nicht verwunderlich, dass sie das erste Semifinale am 7. Mai eröffnen darf. Diese Startposition hat Zypern auch 2019 im Semifinale und 2021 im Finale nicht geschadet.

Platz 16: San Marino

Das kleinste ESC-Land steht aktuell bei den Buchmachern abgeschlagen auf dem letzten Platz. Was es meiner Meinung nach definitiv nicht verdient hat. Denn sowohl die Band Megara als auch ihr Song "11:11" sind (im wahrsten Sinne des Wortes) ein angenehmer Farbtupfer im Jahrgang 2024. Der Rocksong verbindet spanischen Flamenco mit Classic Rock, hat eine schöne Message und mit der spanischen Sprache für ein italienschsprachiges Land wie San Marino auch etwas Exotik. Besonders interessant: die sanmarinesischen Teilnehmer waren letztes Jahr noch im spanischen Vorentscheid gescheitert, während die spanische Band letztes Jahr noch bei Uno Voce per San Marino frühzeitig ausschied. Dieses Jahr sind beide Bands am Start.

Platz 15: Polen

Luna aus Polen hat in ihrem Leben wohl noch nicht so oft die Sonne gesehen. Sie ist blass wie eine weiße Wand und allein dadurch eine Erscheinung. Und ihr Song ist ein wunderbar produzierter Radio-Popsong, der eine ausgezeichnete Hook aufweist und mir immer wieder im Ohr bleibt, sobald ich ihn auch nur kurz höre. Für diesen Song sehe ich eine künstlerisch anspruchsvolle Tanzperformance als geeignetes Staging, auch das Musikvideo zeigt schon Anleihen einer solchen Performance. Für den ganz großen Wurf dürfte es diesmal wieder nicht reichen, dennoch ist der Song definitiv finalwürdig.

Platz 14: Ukraine

Die Ukraine sollte man immer auf dem Zettel haben, was die Top10 im ESC-Finale angeht. Und dass sie sich für eben dieses qualifizieren, dürfte auch in 2024 außer Frage stehen. Der Rap-Part von Alyona Alyona ist einer der besten, die ich in dieser Form je bei einem ESC-Song gehört habe (Malta JESC 2021 und Ukraine 2022 sind ähnlich gut gewesen). Und auch die angenehm tiefe Stimme von Jerry Heil sowie der chorale Charakter des ethnisch angehauchten Songs bleiben hängen und fesseln den Zuschauer an die Performance. Was hier jedoch ein bisschen fehlt ist eine Art von Steigerung oder Höhepunkt. Es plätschert leicht vor sich hin, wenn auch in schöner Form.

Platz 13: Slowenien

Raiven hatte ich schon seit 2016 immer wieder auf dem Zettel. Ihr damaliger zweitplatzierter Song im slowenischen Finale EMA gab einen Vorgeschmack auf den erneut intern gewählten Titel, der nun endlich Raivens fantastische Stimme auch auf die ESC-Bühne katapultieren wird. "Veronika" hat eine der interessantesten Hintergrund-Storys im Jahrgang, auch wenn das wohl die wenigsten wissen und verstehen werden. Aber die epische Musik und Raivens glockenklare Stimme dürften das wahrscheinlich irrelevant machen. Hoffentlich bleibt dieses musikalische Kleinod im ersten Semifinale nicht auf der Strecke.

Platz 12: Schweden

Eigentlich hätte ich die einstigen Teenie-Star-Zwillinge aus Norwegen schon 2023 gern auf der ESC-Bühne gesehen. Nun sind sie eben ein Jahr später dran und haben die zweifelhafte Ehre, das ESC-Finale für die Gastgeber aus Schweden zu eröffnen. Dass das ein Gastgeber machen muss bzw. darf, gab es zuletzt im fernen Jahr 1970, als der ESC mit gerade mal 12 Acts in Amsterdam stattfand. Und es ist schade, dass der Song "Unfortgettable" wesentlich schlechter ist als das geniale "Air" vom Melodifestivalen 2023. Dennoch ist er immer noch top-produziert und wird mit einer auf die Zehntelsekunde genau produzierten Kamera- und Tanzperformance aufwarten können. Sagen wir's kurz: die Schweden können's einfach, da wird der Song selbst fast schon zur Nebensache.

Platz 11: Estland

Ein echtes Battle zwischen zwei Bands werden wir im Mai bei der estnischen Formation 5miinust x Puuluup erleben. Da ist zum einen die Rap-Formation, die den ersten estnischsprachigen ESC-Song seit 2013 zum Besten gibt. Und sich auf der Bühne mit der Ethno-Gruppe und ihrem traditionellen Instrument, der Talharpa, duellieren. Ein grotestkes Bild, das beim Eesti Laul aber der absolute Publikumsliebling war und definitiv auch beim ESC selbst auffalllen wird. Nicht zuletzt auch aufgrund des schräg klingenden Folklore-Instruments und der ikonischen Tanz-Performance, die am Ende beide Bands zugleich präsentieren.

Platz 10: Dänemark

Manchmal braucht es gar nichts Revolutionäres oder Bahnbrechendes. Man nehme eine perfekte Stimme, eine junge charismatische Frau mit äthiopischen Wurzeln in einem schneeweißen Kleid und dann an den richtigen Stellen eine grelle und dennoch passende Lichtshow im Hintergrund, ebenfalls in weiß. So wird aus einer an sich das Rad nicht neu erfindenden Pop-Hymne einer der besten dänischen Songs der letzten Jahre. Es wäre mal wieder Zeit für ein Finale mit dänischer Beteiligung.

Platz 9: Belgien

Kein Song steigert sich um Verlauf der 3 Minuten so sehr wie der aus Belgien. Die ersten 90 Sekunden von Mustii's Song sind gefühlvoll und sanft, doch zum letzten Refrain hin explodiert der Song regelrecht, der Interpret singt mit voller Inbrust zig mal den Songtitel "Before The Party Is Over" und ein dazu passender Backing-Chor führt dann zum epischen Ende. Wenn das entsprechend bombastisch inszeniert wird, kann Belgien ganz vorne landen. Wenn nicht, kann das aber auch in einer riesigen Enttäuschung enden, denn bei den bisherigen Live-Auftritten hat sich der Sänger nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Platz 8: Österreich

Unsere südlichen Nachbarn aus Österreich bringen wie die Finnen 90s-Vibes, nur wesentlich besser. Kaleen, die bisher nur im Hintergrund als Produzentin und Stand-In-Double mit dem ESC zu tun hatte, steht nun selbst auf der Bühne. Und bringt in ihrem sexy Outfit und dem mitreißenden Song "We Will Rave" eine wohl spektakuläre Performance nach Malmö (zumindest wenn man nach ihren Auftritten bei den Pre-Partys und dem Musikvideo geht). Der Song besticht vor allem durch die wummernden Techno-Beats und ist im Allgemeinen eine rasante Angelegenheit, die die Malmö Arena wohl um Kochen bringen wird. Mehr Uptempo geht fast nicht.

Platz 7: Irland

Es ist schon eine gefühlte Ewigkeit her, dass Irland nicht unter den letzten 10 in meinem Ranking zu finden war. Und erstmals seit 2011 sind sie sogar unter meinen Top10 zu finden. Ich hätte alles von der grünen Insel erwartet außer einer okkulten, bipolaren "Hexe", die mir einen Harry-Potter-Todesfluch auf Aramäisch an den Kopf wirft. Dazu tanzen dann zwei in schwarzen Ganzkörperanzügen gekleidete Hampelmänner mit übermäßig langen Fingern hinter unserer Voodoo-Sängerin und sie schreit ihre innere Dämonin raus. Einfach zu schräg, um im Halbfinale zu scheitern, Irland hat beste Chancen auf den ersten Finaleinzug seit 2018 in Lissabon.

Platz 6: Norwegen

Zum ersten Mal seit Athen 2006 hat sich Norwegens TV-Publikum wieder auf einen Beitrag in der Landessprache geeinigt. Und während der Song damals vor allem weiß gekleidete, feenartige Blondinen auf die ESC-Bühne brachte, wird in diesem Jahr alles stockfinster inszeniert, nur unterbrochen durch nebelverhangene Wasserfälle im Hintergrund und vereinzelte Lichtblitze. Dabei schreit sich Gåte-Frontfrau Gunnhild die Seele aus dem Leib, während die Band durch den rockig-folkloristischen Song hindurch ihre Instrumente in akrobatischer Höchstform durch die Luft wirft. Auch hier muss der gemeine ESC-Zuschauer wohl gebannt am TV-Bildschirm kleben.

Platz 5: Italien

Kolumbianische Tanz-Rhythmen treffen auf italienischen Text. So lässt sich Italiens diesjähriges Meisterwerk zusammenfassen. Und Meisterwerk trifft es gut, denn sowohl die Inszenierung beim Festival di Sanremo als auch der Song und sein Aufbau sind grandios gut. Was nicht zuletzt an der talentierten Sängerin Angelina Mango und ihrer enormen Bühnenpräsenz liegt. Sie singt sich in atemberaubender Geschwindigkeit durch den umfänglichen Text des Songs und hat mich von Anfang an geflasht. Ganz besonders toll finde ich die recht ruhig anmutende Bridge kurz vor dem letzten Refrain, der dann nochmal voll auf die Zwölf geht. Italien liefert echt in jedem Jahr ab.

Platz 4: Kroatien

Aus Kroatien ist man als ESC-Fan so einiges gewohnt. Etwa den Tenor, der mit sich selbst im Duett singt. Oder die Engelsmänner, die von der Hallendecke eingeflogen werden. Oder die alten Opas in ausgeleierten Unterhosen und den Mann mit der "Monster-Rakete" im Hintergrund. Da ist der diesjährige Song fast schon Mainstream. Und am Ende eine unglaublich catchige und massentaugliche Rock-Nummer, gepaart mit Tisch-Deckchen auf dem Schlagzeug und der braven Magd mit Kopftuch, die im Hintergrund tanzt. Klingt verrückt, ist es auch. Und dass der Sänger über Katzen und Miauen singt, macht es fast noch besser.

Platz 3: Litauen

Ein Troye-Sivan-Klon singt in diesem Jahr auf Litauisch für Litauen. Silvester Belts Song ist eine fast schon hypnotisch anmutende Techno-Hymne, die aber mal sowas von nach 2024 klingt. Die eigentlich recht wenig melodische Landessprache passt (überraschenderweise) perfekt zum Beat von "Luktelk" und die Strobo-Lightshow gepaart mit den lustigen Tanzmoves aller auf der Bühne stehenden Leute ist ein echter Hingucker. Dieser Auftritt vom Vorentscheid ist definitiv Top10-würdig, wird aktuell aber von den Buchmachern leider durchgereicht. Hoffentlich ändert sich das im Mai.

Platz 2: Niederlande

Wem Kroatien zu schrill ist, den dürften die Niederlande mit ihrem Song wohl restlos überfordern. Doch auch wenn die Verpackung recht laut und poppig ist, der Inhalt ist definitiv traurig: es geht um den Wunsch, in Europa bis zum Tod zu leben, denn das hat sich der verstorbene Vater des Interpreten Joost Klein für seinen Sohn gewünscht. Ich bin sehr gespannt darauf, wie sich das geniale Musikvideo auf der Bühne in Malmö darstellen lässt, die niederländische Delegation hat bereits eine Performance angekündigt, die "bisher physikalisch nicht vorstellbar" war. "Europapa" enthält auch meinen liebsten Part von allen diesjährigen ESC-Songs ist die Dance-Bridge im Happy Hardcore-Stil.

Platz 1: Schweiz

Die Buchmacher sind erst etwas später auf den Geschmack gekommen, für mich war "The Code" von Anfang an der große Favorit. Das ist einer der wenigen Songs, für den sich sowohl die Jurys als auch das Televoting begeistern dürften. Die Vokalakrobatik des non-binären Künstlers Nemo ist beeindruckend und wechselt teilweise innerhalb weniger Sekunden zwischen Oper, Pop und Rap. Die wilde Zugfahrt im Videoclip passt auch inhaltlich zum Text, den er thematisiert die lange Reise zu sich selbst und der Erfahrung, wer man "wirklich ist". Und ich schließe die Analyse aller 37 Songs mit den für mich besten Lyrics des Jahrgangs: "Somewhere between the 0's and 1's / That's Where I Found My Kingdom Come".

Montag, 25. März 2024

Meine Top37 für den ESC 2024

Hier meine Top37 für den diesjährigen ESC:



Wenn man alle 31 Semifinalisten auf die beiden Semis aufteilt und nach meinem Ranking geht, würde das Ergebnis folgendermaßen aussehen:

Semifinale #1
1. Litauen
2. Kroatien
3. Irland
4. Slowenien
5. Ukraine
6. Polen
7. Zypern
8. Aserbaidschan
9. Luxemburg
10. Finnland
11. Portugal
12. Serbien
13. Moldawien
14. Australien
15. Island

Semifinale #2
1. Schweiz
2. Niederlande
3. Norwegen
4. Österreich
5. Belgien
6. Dänemark
7. Estland
8. San Marino
9. Armenien
10. Israel
11. Griechenland
12. Tschechien
13. Georgien
14. Malta
15. Albanien
16. Lettland